Forum OÖ Geschichte

Marchtrenk 1900-1938. Ein kleines Dorf in schwerer Zeit


Das k. & k. Kriegsgefangenenlager 1914-1918

Die Ursachen, der Verlauf und das katastrophale Ende des Ersten Weltkriegs sind in tausenden Büchern nachzulesen. Darauf können wir im Rahmen dieser Ausstellung nicht eingehen, sondern wir befassen uns nur mit den unmittelbaren Folgen für Marchtrenk.

Unterlagen zum k. u. k. Kriegsgefangenenlager (in Zukunft nur mehr „Lager“) finden sich in den Beschlüssen des Gemeindeausschusses, in der Pfarrchronik, im Bericht des römisch-katholischen Kooperators Alois Gruber, im Tagebuch des Wolgadeutschen Adolf Braun, in der vom Museumsverein geförderten Dissertation von Dr. Julia Walleczek, in den Ortschroniken von Josef Heimann und Viktoria Weinzierl, in der Chronik der Gendarmerie, in den Akten des Heeresgeschichtlichen Museums und in zahlreichen Zeitungsartikeln. Diese Unterlagen liegen – oft zum ersten Mal – über Initiative des Museumsvereins ausgedruckt vor und stehen späteren (Heimat- und Militär-)Forschern zur Verfügung.

Wenn Sie mehr über das Lager erfahren wollen, empfehlen wir das vom Museumsverein herausgegebene Buch von DI Erwin Prillinger.

Im Gemeindeausschuss-Protokoll vom 2. Juli 1914 steht:
Über Antrag des Herrn Dr. Holzhey wird über die ruchlose feige Tat des Mörders Sr. kaiserl. und königl. Hoheit des Herrn Erzherzog und Thronfolgers Ferdinand und seiner Gattin die Entrüstung ausgesprochen und beschlossen, die Anteilnahme… an die Stufen des allerhöchsten Thrones schriftlich zum Ausdrucke zu bringen."

Die Empörung im Volk war groß und es wurde eine rasche Bestrafung der Serben gefordert. Man glaubte an einen sehr kurzen Kriegsverlauf.

Der Bericht von Kooperator Gruber beginnt so: „Der gewaltigste und furchtbarste Krieg aller Zeiten, der im Juli des Jahres 1914 begonnen, ist an keinem Dörflein unseres weiten Vaterlandes Österreich spurlos vorübergegangen. Marchtrenk wurde vor dem Krieg gerne das „stille Heidedorf“ genannt, im Krieg jedoch war es dies nicht mehr.

Es war am 2. Dezember des Jahres 1914, als mit dem Mittagszuge der k.u.k. Staatsbahn ein österreichischer Hauptmann im Auftrage der Militärbehörde erschien und den aufhorchenden Marchtrenkern eröffnete, dass in ihrer Gemeinde ein großes Russenlager gebaut werden sollte.

Die Gründe für die Wahl von Marchtrenk waren:

  • Nähe der Bahn
  • Schotterboden
  • minderwertiger Kulturboden


Noch am gleichen Tage abends brachte ein erster Zug das erste Baumaterial. Es war jedoch kein einziger Arbeiter zur Stelle….“ Begonnen wurde der Bau mit 20 heimischen Arbeitern. Im Februar 1915 lief die Bautätigkeit mit 3.000 Arbeitern auf Hochtouren, 30 Firmen waren beschäftigt. Anfang Dezember war die erste Baracke fertig, zu Jahresende standen 40 Unterkünfte. Am 31. Dezember kamen zu Fuß die ersten 300 Russen aus dem Lager Wegscheid. An diesem Abend übernahm Kommandant General Goglia das Lager. Sein Adjutant war Oberleutnant Dr. Salzmann aus Wels. Am 4. Jänner 1915 kamen ein ungarisches Wachbataillon (850 Mann, 23 Offiziere) und weitere 1.000 Russen aus Wegscheid. Am 15. Jänner wurde mit dem Bau der Lagerbahn begonnen. „…Es wurde durch dieselbe sogar ermöglicht, dass gefangene Russen von tiefst aus Russland heraus bis zu einer Baracke in Marchtrenk direkt per Bahn befördert werden konnten, ohne dass sie einmal ihren Waggon oder Zug verlassen mussten.

Am 15. Februar brach im Lager der Flecktyphus aus. Anfang März starb Bischof Hittmair nach einem Besuch des Lagers Mauthausen an dieser Krankheit. Die Bekämpfung war wegen der Unkenntnis über den Erreger und die Übertragungsart (durch Läuse) nur sehr schwer möglich. Zwischen 21. und 27. Februar wurden 81 Fälle gemeldet. Es wurde infolge verstärkt Wert auf Hygiene gelegt: Die Barackenstädte wurden mit Kanalisation, Wasserleitungen, Bade-, Entlausungs- und Desinfektionsanlagen, Verbrennungsöfen für Fäkalien und Klärschlammbecken bestens ausgestattet.

Da die Zahl der Gefangenen rasch anwuchs, traf am 10. März das Grazer Wachbataillon Nr. XII in Marchtrenk ein. Der Höchststand an Kriegsgefangenen wurde im Mai mit 35.009 Mann erreicht.

Am 2. März flüchteten die ersten Russen. Anfang April brannte eine Baracke, angezündet von Kriegsgefangenen. Am 20. Mai wurde das Standrecht („… wird standrechtlich gerichtet und mit dem Tode durch den Strang bestraft.“) kundgemacht.

Mit der Legitimierung des Arbeitszwangs 1915 leerten sich die Barackenstädte. Mit 1. Jänner 1916 gehörten 17.950 Gefangene dem Grundbuchstand Marchtrenk an, zählten also zu diesem Lager, wovon sich über 12.600 Soldaten im Arbeitseinsatz befanden. So fuhren etwa am 3. Juli 1915 zwei Züge mit Kriegsgefangenen (2.540 Mann und 79 Bewacher) als Erntearbeiter nach Ungarn ab. Sie mussten auch in Marchtrenk, Buchkirchen und Kremsmünster arbeiten. Am 13. Juni kamen erste italienische Gefangene (138 Mann, drei Offiziere) ins Lager.

Im August erschienen erste Berichte, wonach die Kriegsgefangenen zu einer Belastung für die Bevölkerung würden. Entwichene Offiziere und Gefangene versuchten durch Einbrüche und Diebstähle zu überleben. Der Friede mit Russland 1918 hob die Stimmung im Ort. Häuser wurden beflaggt. Desertion und Flucht, Schleichhandel u. unbefugte Einkäufe von Lebensmitteln standen auf der Tagesordnung.

Am 18. September 1918 ist eine sechs Mann starke italienische Offizierswache als österreichische Soldaten verkleidet aus dem Lager spaziert. Man sah sie nie wieder.

Nach dem politischen Umsturz im November 1918 verließ die Wachmannschaft das Lager. Die Gefangenen kamen in den Ort. 500 italienische Häftlinge wurden als neue Wachmannschaft aufgestellt und mit Gewehren und Munition ausgestattet. Nach sechs Tagen fuhren die Gefangenen in ihre Heimat. Es verlief alles in tadelloser Ordnung.

Es wurde in der Folge eine Volkswehr mit 30 Marchtrenkern gegründet, einer erschoss sich versehentlich. Die Lagerposten und das Wachepersonal stahlen alles was nicht „niet- und nagelfest“ war, wurde berichtet. Am 11. Dezember wurde im Lager eine vier Mann starke Gendarmerie-Expositur errichtet.
 

Kurze Beschreibung des Lagers

Das Lager ersteckte sich längs der Landestraße gegen Osten 3,5 km in die Länge, seine größte Breite betrug 800 m. Es bestand aus drei Teillagern. Lager I war das Hauptlager, Lager II diente als Lager für die gefangenen Offiziere und dazu wurde das Lager III gebaut. Es wurde nie bezogen, weil es keine Kanalisation gab.

Wegen der schwarzen Pappdächer kam der Name „Schwarze Stadt“ auf. Das Lager selbst war eine autonome militärische Einrichtung und hatte mit der zivilen Verwaltung, z.B. der Gemeinde und Bezirkshauptmannschaft, nichts zu tun. Nach außen war das Lager mit einem doppelten Stacheldrahtzaun abgeschlossen. Im Inneren dürften rund 500 niedrige Holzbauten gestanden haben.

Das Lager wurde von dem Fotografen Osterzilik 1916 umfangreich fotografiert. Mit diesen Bildern sollte unter anderem eine gute Behandlung der Gefangenen dokumentiert werden. Es bestand so die Hoffnung, dass die österreichischen Gefangenen in Russland auch entsprechend behandelt würden. Insbesondere in Sibirien erfüllte sich dies nicht.

Das Lager bestand aus Verwaltungsgruppe, Wohngruppen, Krankengruppen, der Infektionskrankengruppe, der Kontumazgruppe (hier wurden die ankommenden Soldaten geduscht, entlaust, etc.) und der Werkstättengruppe mit Schlosserei, Tischlerei, Bindern, Schustern. Es gab einen 27 Meter hohen „Stadtturm“ wegen der Feuersgefahr und im Lager II einen etwas kleineren Turm. Das Lager wurde durch elektrische Bogenlampen in der Nacht fast taghell erleuchtet. Wie schon angeführt: Die Infrastruktur war sehr modern. Zwischen Lager I und Lager III wurde der Kriegerfriedhof angelegt.
 

Das Lagerleben

Zur Führung des Dienstbetriebes waren Offiziere, Militär- und Zivilärzte, sowie militärische Beamte und Mannschaften eingeteilt. Grundlage allen Handels war das vom Kriegsministerium herausgegebene Diensthandbuch J-35.

Für die im Lager befindlichen Gefangenen gab es einen genau nach Tag und Stunde geregelten Beschäftigungsplan. In den Werkstätten wurde sehr produktiv gearbeitet. Gefangene wurden beim Lageraufbau und in kleinerem Umfang auch in Marchtrenk eingesetzt – etwa beim Ausbau der Bahnhofstraße und bei der Kirchenrenovierung.

Es gab unter Bewachung auch Ausgang. In der Bibliothek lagen Zeitungen („Ruski Westnik“ und „Il Lavatore“) auf, Musik und Theater wurden gefördert, ein Musikpavillon wurde errichtet. Um sich die Zeit zu vertreiben, wurden Gesellschaftsspiele und Material für Schnitzarbeiten zur Verfügung gestellt. Die Ausübung der Religion wurde allen ermöglicht, eine Baracke wurde zur Kirche. Die Begräbnisse wurden feierlich gestaltet. Auf den Bauernhöfen gab es nicht selten Liebesbeziehungen.

Kriegsuntaugliche Invaliden wurden mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes von den Feindstaaten – in der Regel über neutrale Staaten – ausgetauscht. Am Ende des Krieges litten die Gefangenen – so wie die Zivilbevölkerung – an Hunger und Kälte.

1919 wurden die heimkehrenden Soldaten würdig empfangen. Das Marchtrenker Lager wurde als Zerstreuungslager bestimmt. Die Heimkehrer wurden vom Bahnhof mit der Musikkapelle abgeholt, ins Lager geleitet und dort gut bewirtet. Anfang Februar 1920 hatte das Lager endgültig ausgedient.

Die Behandlung der Kriegsgefangenen erfolgte nach der Haager Landkriegsordnung – ein Vertragswerk von 1899 und 1907. Hier wurde ein guter menschlicher Umgang mit Gefangenen gefordert – und auch eingehalten.

Grob gerundet wurden in der Monarchie Kriegsgefangenenlager für insgesamt 1.000.000 Mann und 10.000 Offiziere mit einem Kostenaufwand von 200 Millionen Kronen erbaut.
 

Text: Reinhard Gantner, 2018
 

Die Gefangenen

Die Gesundheitsversorgung

Der Kriegerfriedhof


"Marchtrenk 1900-1938. Ein kleines Dorf in schwerer Zeit" - Dokumentation einer Ausstellung des Museumsvereins Marchtrenk - Welser Heide vom 20. bis 28. Oktober 2018 im Full Haus Marchtrenk.

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