Marchtrenk 1900-1938. Ein kleines Dorf in schwerer Zeit
Zeit des Nationalsozialismus in Marchtrenk und der "Anschluss" 1938
âWer vor der Vergangenheit die Augen verschlieĂt,
wird blind fĂŒr die Gegenwartâ. (Richard von WeizsĂ€cker)

Tafel "Zeit des Nationalsozialismus" in der Ausstellung "Marchtrenk 1900-1938. Ein kleines Dorf in schwerer Zeit", 2018 (c) Museumsverein Marchtrenk - Welser Heide
GrundsĂ€tzlich beschrĂ€nken wir uns in dieser Ausstellung auf die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung von Marchtrenk in den Jahren 1900 â 1938. Beim Thema Nationalsozialismus erscheint es aber sinnvoll manchmal ĂŒber die Ortsgrenzen zu schauen. Wir gehen daher punktuell auf die allgemeine Entwicklung in Ăsterreich und Oberösterreich ein.
Deutschnationale Tendenzen finden sich bei allen politischen Parteien der Zwischenkriegszeit (Ausnahme: die Kommunisten). An der ĂberlebensfĂ€higkeit der Ersten Republik war von Anfang an von vielen gezweifelt worden, und daher war die Sehnsucht nach dem âAnschlussâ an Deutschland allgegenwĂ€rtig.
Zum festen Bestandteil der politischen Kultur des deutschnationalen und katholisch-konservativen Lagers gehörte der Antisemitismus dazu. Mit dem Judentum wurden die AufklÀrung, Liberalismus und Kapitalismus, Marxismus und Sozialdemokratie sowie der Pazifismus gleichgesetzt.
Die ökonomische und soziale ErschĂŒtterung des KleinbĂŒrgertums durch die drohende Staatskrise und die Inflation 1922/23 war mit ein Grund, dass radikalere Ansichten links und rechts der politischen Mitte Platz fanden.
Bei der Gemeinderatswahl 1929 wurde erstmals ein Mitglied der NSDAP, der Eisenbahner Hans Marian, in den Gemeindeausschuss gewĂ€hlt. Er wurde fĂŒr den SanitĂ€tsausschuss nominiert. 1930 legte er sein Mandat wegen seiner dienstlichen Versetzung nach Linz â wohin er auch ĂŒbersiedelte â zurĂŒck.
Bei den Nationalratswahlen 1930 erhielt die NSDAP 6 % der Stimmen, bei den oö. Landtagswahlen 1931 8,1 %. Auch in der Umgebung von Wels, insbesondere in Marchtrenk, lebten die Nationalsozialisten auf. âDie Hitler sind besonders tĂŒchtig in der Agitationâ berichtete die Pfarrchronik Marchtrenk im Jahr 1932.
Im MĂ€rz 1933 erfolgte die (angebliche) âSelbstausschaltung des Parlamentsâ. Bundeskanzler Dollfuss regierte ab da auf der Grundlage eines KriegsermĂ€chtigungsgesetzes aus 1917. Die NSDAP, die Kommunistische Partei und der Republikanische Schutzbund der Sozialdemokraten wurden verboten.
Nach diesem Verbot der NSDAP gab es im Juni laut der Gendarmerie-Chronik 49 polizeiliche Anzeigen. Im Juli steht: âAnzeigen gegen Nationalsozialisten erstattet wegen boshafter BeschĂ€digung durch Bemalen der BundesstraĂe und wegen Hissung einer Hakenkreuzfahne.â
Im Jahr 1933 entstand in Bayern die Ăsterreichische Legion âeine paramilitĂ€rische Einheit â wo zahlreiche geflĂŒchtete Nazis unterkamen. Aus Oberösterreich dĂŒrften 1.734 Personen geflĂŒchtet sein, davon vier aus Marchtrenk.
Ende des Jahres 1933 stufte die Pfarre in Marchtrenk in einem Schreiben an das Dekanat Wels die Nationalsozialisten, darunter zwei Lehrer, als âsehr scharfâ ein, auch wenn sie in der letzten Zeit ziemlich ruhig zu sein schienen.
Die Zahl der Mitglieder der illegalen NSDAP war in Oberösterreich relativ gering. Sie betrug 1934: 642 (Ăsterreich 25.336), im Februar 1938: 2.128 (Ăsterreich 33.485).
Im Februar 1934 mĂŒndete die politische Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen in einen blutigen BĂŒrgerkrieg. Die Sozialdemokraten gingen als Verlierer hervor. In der Folge löste die Regierung alle Parteien auf und lieĂ nur mehr die VaterlĂ€ndische Front zu.
Im Juli 1934 gab es einen Putsch der Nationalsozialisten, u. a. mit KÀmpfen auf dem Pyhrnpass. In Oberösterreich gab es 30 Tote und zahlreiche Verletzte.
Aus der Gendarmerie-Chronik 1934: âTerrorakte durch Nationalsozialisten. Die verbotene NSDAP hat im Jahr 1933 sich insbesondere durch Verbreitung von Flugschriften, Beschmieren von Objekten, StraĂen, etc. mit Hakenkreuzen, Hissung von Hakenkreuzfahnen befasst. Im Jahre 1934 begann diese verbotene Partei neuerlich ihr Werk und setzte mit Terroraktionen ein. In mehreren FĂ€llen haben sie BölleranschlĂ€ge gemacht, die Schaden an GebĂ€uden anrichteten und das Leben von Menschen gefĂ€hrdeten.â
1936 fand eine deutliche Radikalisierung der Nazis statt. Am 11. Juli kam es zu einer diplomatischen Ăbereinkunft zwischen Ăsterreich und Deutschland. GemÀà dem âJuli-Abkommenâ erhielten die nach wie vor verbotenen Nationalsozialisten gewisse ZugestĂ€ndnisse.
Am 12. Februar 1938 gab es ein Kanzlertreffen zwischen Hitler und Schuschnigg in Berchtesgaden, das mit extrem nachteilhaften Diktat-Bedingungen fĂŒr Schuschnigg endete.
Am 9. MĂ€rz hielt Schuschnigg eine Rundfunkrede und rief das Volk zu einer Volksbefragung fĂŒr das âfreie Ăsterreichâ auf. Er geriet unter starken Druck aus Berlin und trat am 11. MĂ€rz abends zurĂŒck. Am darauf folgenden Morgen marschierten die ersten MilitĂ€reinheiten der deutschen Reichsarmee unter zahlreichen Beifallsbekundungen österreichischer ParteigĂ€nger kampflos in Ăsterreich ein.
Die AnhĂ€ngerschaft der NSDAP in Marchtrenk setzte sich aus allen Schichten der Bevölkerung zusammen. Der gröĂte Teil der AnhĂ€nger bestand aus Arbeitslosen, Ausgesteuerten und Notleidenden. Die AnkĂŒndigung groĂer Projekte (Autobahnbau, Industrieansiedelungen in Linz, Braunau etc.) weckte die Hoffnung auf Arbeit und eine bessere Zukunft. Die ersten negativen Erscheinungen wie gesellschaftliche ZwĂ€nge, Gleichschaltung und die Drangsalierung durch NS-FunktionĂ€re wurden so leichter hingenommen.
Auch die Bauern kĂ€mpften vor dem Anschluss mit groĂen Problemen. Nach der DĂŒrre 1935 waren viele Höfe verschuldet, manche wurden zwangsversteigert. Das neue âReichserbhofgesetzâ und die Möglichkeit der Entschuldung machten auf die katholischen und noch mehr auf die evangelischen Bauern â die fĂŒhlten sich im StĂ€ndestaat unterdrĂŒckt und zurĂŒckgesetzt â groĂen Eindruck. In Marchtrenk waren weiters eine vor der Jahrhundertwende aus Deutschland zugewanderte Industriellenfamilie, kleine Kaufleute und Gewerbetreibende und einzelne Lehrer und Akademiker in der FĂŒhrungsschicht.
Aus der Gendarmerie-Chronik: âAm 11. MĂ€rz 1938 besetzt die SA den Gendarmerieposten, die Post und das Gemeindeamt. Es kommt zu keinerlei ZwischenfĂ€llen. Ăsterreich gehört nun zum Deutschen Reich.â
12. MĂ€rz 1938: âDer FĂŒhrer und Reichskanzler Adolf Hitler passiert Marchtrenk. Nachdem bereits deutsche MilitĂ€r-Autokolonnen Marchtrenk durchfahren hatten, kam Schlag 19.00 Uhr unser FĂŒhrer und Reichskanzler Adolf Hitler, vom Volk herzlichst bejubelt, per Auto durch den Ort Marchtrenk. Alles begab sich sonach zu den Lautsprechern um den feierlichen Empfang des FĂŒhrers in Linz mitfeiern zu könnenâ.
Aus der Zeit des Nationalsozialismus gibt es tatsĂ€chlich âkein Blatt Papierâ im Gemeindeamt. Ăltere Menschen â angesprochen auf diese Zeit â verschlieĂen sich sehr oft, manche brechen â nach ĂŒber 70 Jahren Weltkriegsende â in TrĂ€nen aus.
Es wird im kommenden Jahr an Hand zu erschlieĂender Quellen der Versuch unternommen, die nachfolgenden schrecklichen Jahre â auch fĂŒr das Dorf Marchtrenk â mit Hilfe von Wissenschaftlern zu erforschen.
Text: Reinhard Gantner und GĂŒnter Kalliauer, 2018
"Marchtrenk 1900-1938. Ein kleines Dorf in schwerer Zeit" - Dokumentation einer Ausstellung des Museumsvereins Marchtrenk - Welser Heide vom 20. bis 28. Oktober 2018 im Full Haus Marchtrenk.