Erleben. Erinnern. ErzÀhlen
ZeugInnen der Zeit
ZeitzeugInnen aus Linz und Urfahr sprechen ĂŒber ihre EindrĂŒcke der Nachkriegszeit. Ihre ErzĂ€hlungen sind wertvolle Zeugnisse unserer Geschichte. Die zugĂ€nglich gemachten Erinnerungen, diese sehr persönlichen Einblicke von ZeitzeugInnen, geben uns die Möglichkeit, die Vergangenheit aus anderer Sicht zu betrachten. Ihre Geschichten zur âgeteiltenâ Stadt spannen einen Bogen von den letzten Kriegstagen bis hin zum Alltag mit den Alliierten. Auch Besatzungskinder, die der Verbindung von österreichischen Frauen mit amerikanischen Soldaten entstammen, kommen zu Wort. In Ăsterreich wurden nach 1945 etwa 20.000 Besatzungskinder geboren. Viele von ihnen haben ihren leiblichen Vater nie kennen gelernt.

Ansicht "Erleben. Erinnern. ErzÀhlen" aus der Ausstellung "GETEILTE STADT. Linz 1945-55", NORDICO Stadtmuseum Linz, 2015; © Norbert Artner
âIch bin eigentlich von Geburt an Amerikanerâ, erzĂ€hlt Helmut Bauer (geb. 1949). Der Linzer erfĂ€hrt erst als junger Erwachsener, dass er das Kind eines amerikanischen Besatzungssoldaten ist, ein âGI-Kindâ. Sein zweiter Vorname âStanleyâ, den er auf seiner Geburtsurkunde entdeckte, gab den AnstoĂ: Er machte sich auf die Suche nach seinen Wurzeln. Heute hat er eine zweite Familie in den USA und ist Besitzer eines amerikanischen Passes. |
WĂ€hrend er im Keller seiner Linzer Wohnung einen Fliegerangriff miterlebt, befindet sich die Familie des kĂŒnftigen BĂŒrgermeisters Ernst Koref noch in Haslach: âVater ist mit der allerletzten MĂŒhlkreisbahn nach Linz gefahren â ich glaube er hat damals schon damit gerechnet, dass Besprechungen zwischen Angehörigen verschiedener kĂŒnftiger politischer Parteien stattfinden werdenâ, erinnert sich seine Tochter, Beatrix Eypeltauer (geb. 1929). 1948 beginnt sie ihr Studium in Wien, dort ist die ErnĂ€hrungslage noch schwieriger als in Oberösterreich. Doch auch in Linz waren es âbescheidene VerhĂ€ltnisse, die man sich heute nicht mehr vorstellen kannâ. |
âIch wollte nur die Mikrofon-Angst verlierenâ â nach seinem Probetag als Tagessprecher bleibt Wilfrid Freudenthaler (geb. 1927) 33 Jahre lang Sprecher des Radiosenders Rot WeiĂ Rot (RWR) Linz, spĂ€ter ORF. Das Wunschkonzert, bei dem GlĂŒckwunschbriefe der ZuhörerInnen vorgelesen werden, ist in den 1950er Jahren ein besonders beliebtes Sendeformat. In einer kleinen Aufnahmezelle im Studio am Hauptplatz wĂ€hlt der Radio-Sprecher Musik aus, moderiert, sagt das Wetter an oder spricht die Werbung â heute sind hierfĂŒr mehrere MitarbeiterInnen nötig. |
Ursula Hackl (geb. 1954) erfĂ€hrt als Jugendliche, dass ihr Vater nicht ihr biologischer Vater ist. Sie ist die Tochter eines gewissen Thomas Fauley, der als Besatzungssoldat in Hörsching stationiert war. Jahrzehnte spĂ€ter sieht sie einen TV-Beitrag ĂŒber Besatzungskinder und beschlieĂt, nach ihm zu suchen. 2012 erhĂ€lt die Linzerin Nachricht von der Organisation âGI-Traceâ. Die Suche nach ihren amerikanischen Verwandten war erfolgreich: âIch wurde im Alter von 58 Jahren Schwester von sechs BrĂŒdern und Tante von 30 Nichten und Neffen.â |
GĂŒnter Kaar (geb. 1940) erinnert sich an seine Erfahrungen mit den BesatzungsmĂ€chten: âIch hab ja beides mitgemacht, Amerikaner und Russen.â Besonders beeindruckt haben den damals Jugendlichen die amerikanischen Soldaten: âDie MP in den Jeeps, das waren lĂ€ssige Typen. Locker drin gesessen, immer einen FuĂ herauĂen, der Beifahrer natĂŒrlich nur (âŠ) eine Ausgeh-Uniform haben die gehabt, schönes Gabardine, so eng anliegende Hosen, das hat mir gefallen! Wir haben so weite Flacheln gehabt, so wie die Steirer-AnzĂŒge waren (âŠ).â |
Irmhild MaaĂ (geb. 1939) wohnt als MĂ€dchen in Urfahr. Nach dem Unterricht schaut sie öfter im Hotel Achleitner vorbei. Dort gibt es nachmittags, initiiert von der russischen Besatzungsmacht, Betreuung fĂŒr Kinder und Jugendliche. Eines Tages wird sie Zeugin eines bedeutungsvollen Moments: âAm 9. Juni 1953, als ich auf die BrĂŒcke komme, war keine russische Kontrolle mehr dort, ich musste keinen I-Ausweis (IdentitĂ€tsausweis) herzeigen. Die BrĂŒcke war frei. Und Linz und Urfahr waren zum ersten Mal seit Kriegsende vereint. Der Donauwalzer wurde gespielt und der Landeshauptmann GleiĂner und die Frau des BĂŒrgermeisters Koref haben getanzt, es war ein unglaubliches Erlebnis.â |
âDie Linzer Luft war damals bekannterweise schlecht.â FĂŒr Walter Marterer (geb. 1931), ab 1954 Ingenieur der Sendergruppe Rot WeiĂ Rot (RWR) Linz, ist dieser Umstand bedeutend, da der hohe Gehalt an Schwefeldioxid die SendequalitĂ€t des Radios beeintrĂ€chtigt. Die Technik sowie die GerĂ€tschaften von damals sind âprimitiv und mit heute nicht vergleichbarâ. Das Programm wird mit Mittelwelle vom Sender Freinberg ausgestrahlt. Die Sendungen laufen von 5.30 Uhr frĂŒh bis ein Uhr nachts. Dann werden die Sender und auch die GerĂ€te im Studio abgeschaltet. âDas Radio war das einzige Medium, das wir zur Unterhaltung und zur Information hatten.â |
âIch war weltweit der erste Coca-Cola-Lieferant, der in russisch besetztes Gebiet gefahren ist!â Der in RumĂ€nien geborene Peter Potye (geb. 1925) bewirbt sich 1947 bei Coca-Cola. Bis 1953 darf er das GetrĂ€nk nur an die amerikanischen Besatzer verkaufen, erst danach auch an die Zivilbevölkerung. SchlieĂlich wird er Lieferant fĂŒr das westliche Linz sowie das westliche MĂŒhlviertel. Bei der russischen BrĂŒckenkontrolle an der NibelungenbrĂŒcke gibt er der Wache bei jeder Fuhre ein 6er-Tragerl Coca-Cola. Am Ende des Tages bei der RĂŒckfahrt erhĂ€lt er zu seinem Erstaunen jedes Mal das vollstĂ€ndige Leergut zurĂŒck und kann ohne Probleme die Kontrolle passieren. |
Hilde Röhrenbacher (geb. 1928) flieht zu Kriegsende aus Znaim und findet in Linz ihre neue Heimat. In der von den Amerikanern beschlagnahmten DĂŒrrnbergerschule, heute Otto-Glöckel-Schule, findet sie Quartier. Der Turnsaal wird bald in eine MannschaftskĂŒche fĂŒr die Alliierten umfunktioniert, die 17-jĂ€hrige Hilde spricht genug Englisch, um dort in der Essensausgabe arbeiten zu dĂŒrfen: âUnd von da an ist es uns tatsĂ€chlich gut gegangen. Der Amerikaner hat ja alles gehabt zum Essen und was ĂŒbergeblieben ist, haben wir gekriegt. Die Not, Hunger, das war vorbei. Zum Wohnen haben wir halt nix gehabt, im groĂen Klassenzimmer haben wir geschlafen.â |
âIch sehâ mich heute noch auf diesem LKW sitzen.â Vera Rosenblattl ist sechs Jahre alt, als sie im Mai 1945 in Deutschland auf einen mit Koffern, Kleidung und Möbeln vollgepackten LKW gesetzt wird. An der österreichischen Grenze angekommen warten sie und ihre Familie mit anderen FlĂŒchtlingen drei Wochen auf die Einreise. In Linz beziehen sie eine Baracke am Bindermichl. TagsĂŒber sind die Kinder auf sich allein gestellt: Der Vater findet Arbeit in der VĂEST und die Mutter sammelt Nahrung und Holz zum Heizen. Einige Jahre muss die Familie in dieser Not-Unterkunft hausen, dann ĂŒbersiedelt sie in eine Wohnung in einem sogenannten âHitlerbauâ. Aus einem FlĂŒchtlingskind wird eine Linzerin. |
Die letzten Wochen des Krieges erlebt Liselotte SchwarzlmĂŒller (geb. 1924) wie so viele LinzerInnen fern der Stadt bei Verwandten am Land. Sie erinnert sich noch gut an die Tage unmittelbar vor Kriegsende: âWir haben eine weiĂe Fahne am Haus aufgehĂ€ngt und abgewartet, was passieren wird. Da sind noch die Insassen der KZs von den deutschen Soldaten bei unserem Haus vorbeigetrieben worden. Ein Huhn ist ĂŒber die StraĂe gelaufen und die hungernden âKZlerâ haben es gefangen und lebend verspeist. Nur noch ein paar Federn sind geflogen und weg war es.â |
âEs war ein bisserl rauer bei den Russenâ, meint der Urfahraner Helmut SchwarzlmĂŒller (geb. 1923). Bei der tĂ€glichen BrĂŒckenkontrolle ist er der Laune der Rotarmisten ausgeliefert, einmal muss er der Wache sogar Rum besorgen, um seinen I-Ausweis zurĂŒckzuerhalten. Sein vom Bomben schwer beschĂ€digtes Haus baut er mit Hilfe seiner Frau wieder auf: âKeine Mischmaschine, kein Aufzug, alles hĂ€ndisch. Jedes Wochenende sind Freiwillige gekommen und haben geholfen.â |
âKein Mensch hat gewusst, was ein Kaugummi ist. Einer hat gesagt: âDen musst in den Mund nehmen und kauen!â Sag ich: âWas, wieso kauen?â Er: âNein, nicht schlucken! Kauen musst!â Wenn man das heute jemandem erzĂ€hlt, da sagt man, das gibtâs nicht. Aber so war das.â. Kurt Wieland, 1934 geboren, freundet sich schnell mit den Amerikanern an. Besonders Soldat Bill ist ihm zugetan und nimmt ihn sogar heimlich in den Offiziersclub Paradiesgarten am Römerberg mit. Dort lernt er die amerikanische Musik kennen und lieben. |
Trude Wieland, 1938 geboren, ist die Enkelin eines MitbegrĂŒnders der Vereinigten Sodawassererzeugung Linz (VESO). Sie erinnert sich auch noch gut an das VESO-Cola, das fĂŒr kurze Zeit im Betrieb hergestellt worden ist, âeine echte Linzer Cola!â. Auch sie kann sich fĂŒr den amerikanischen Flair begeistern: âFĂŒr uns war das eine Faszination, welchen Luxus die Amerikaner schon hatten. Die Damen hatten rot lackierte NĂ€gel und trugen Lippenstift, wir wollten genauso werden. Auch die NylonstrĂŒmpfe kamen aus Amerika.â |
Helmut Zaiser, 1934 geboren, arbeitet in der Nachkriegszeit in einer Urfahraner Fleischhauerei. Auch die russische Besatzung zĂ€hlt zu seinen KundInnen. Eine strenge Offizierin ist dem damaligen Gesellen besonders gut im GedĂ€chtnis, da sie stets mehr Ware forderte als die gebrachte Rohware hergab. Fleisch ist in dieser Zeit absolute Mangelware, Reste hat es daher nicht gegeben: âEin Zeichen der Zeit war, dass eine Verwertung zu 100 % erfolgte.â |
Die Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zur Besatzungszeit in Linz sind als Videodokumente auf der Website des NORDICO. Stadtmuseums Linz abrufbar.

Ausstellungsansicht "Zeuginnen der Zeit" im NORDICO Stadtmuseum Linz. Ausstellung "GETEILTE STADT. Linz 1945-55", 2015. Foto: Verbund Oö. Museen
Autorin: Klaudia Kreslehner